Die Referenten und Organisatoren der Veranstaltung unter anderem mit Bürgermeisterin Sigrid Hornauer, WFG-Geschäftsführer Steffen Schoch, Lisa Nottmeyer und Arantza Blanco von Juratrad, Gabriele Hildwein von hiwentis, Jens Mühleisen IHK Nordschwarzwald und Hans Schmeiser Handwerkskammer Karlsruhe.

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Fachkräfte-Allianz Pforzheim Nordschwarzwald bietet Plattform für Diskussion
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Wie Unternehmen und Institutionen mit konkreten Maßnahmen im europäischen Ausland dem Mangel an qualifizierten Arbeits- und Fachkräften hierzulande begegnen können, das war am Donnerstagabend Inhalt der Diskussionsrunde im Sternenfelser Telegis-Innovationszentrum.

Die Veranstaltung fand statt im Rahmen der Aktivitäten der Fachkräfte-Allianz Pforzheim Nordschwarzwald. Diese Initiative verfolgt das Ziel, die regionalen Unternehmen dauerhaft mit ausreichend Fachkräften versorgen.

Fachkräfte sind in Deutschland Mangelware. Dieser Zustand wird sich in den kommenden Jahren nicht bessern, sondern noch gravierender werden. Unternehmer aus der Wirtschaftsregion Nordschwarzwald trafen sich im TeleGis-Innovationszentrum in Sternenfels unter dem Thema "Fachkräfte finden und binden - neue Ansätze", um gemeinsam Wege zu finden diesem Umstand zu begegnen. Dabei zeigte sich, dass Fachkräftemangel nicht nur ein Mangel an ausgebildeten Mitarbeitern ist, sondern auch ein Mangel an Schülern, die bereit sind, ihre Ausbildung in einemUnternehmen zu beginnen. Die Frage was man dagegen tun kann, die beschäftigte die gut 30 anwesenden Unternehmer und Vertreter von Arbeitsagentur, Bildungseinrichtungen, Kammern und Wirtschaftsförderung. "Ich freue mich sehr über die Resonanz zu diesem Thema. Daran merkt man, dass dieses Thema unter den Nägeln brennt", sagte die Sternenfelser Bürgermeisterin Sigrid Hornauer zur Begrüßung mit Blick in die Runde. "Fachkräftemangel ist bei uns in der Verwaltung noch kein Thema. Doch auch wir spüren einen Fachkräftemangel im Bereich der Erzieherinnen", bekannte Hornauer. Der informelle Abend, der im Anschluss zu konstruktiven Gesprächen führte, wurde moderiert von Steffen Schoch, dem Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Zukunftsregion Nordschwarzwald GmbH.

Faktoren des Fachkräftemangels

Besonders ländliche Regionen leiden unter dem Mangel an Fachkräften. "Die Metropolen haben eine Sogwirkung, sie saugen den ländlichen Raum aus", mit diesen Worten stellte Schoch die gravierende Situation des ländlichen Raumes gegenüber der Attraktivität der Städte dar. Sternenfels, das am nördlichen Rand des Enzkreises liegt, befindet sich in einer besonders exponierten Lage. Die Landkreise Karlsruhe, Heilbronn und Ludwigsburg grenzen direkt an den Ort. Doch nicht nur die Metropolen sorgen für einen Mangel an Fachkräften auf dem Land, auch der demographische Wandel trägt seinen Teil dazu bei. Laut Schoch liegt die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau derzeit bei 1,4. Zum Erhalt eines Staates wird jedoch eine Zahl von 2 Kindern pro Frau benötigt, für ein Wachstum sogar 2,1. "Die Kinder die heute nicht geboren werden, werden auch morgen keine Kinder kriegen", mahnte er. Derzeit liegt die Arbeitslosenquote in der Region Nordschwarzwald bei 4,1 Prozent. Der Enzkreis ist mit einer Quote von 2,5 Prozent an erster Stelle in Baden-Württemberg.

Im Gesundheitswesen und der Kinderpflege- und Betreuung, sowie im technischen Bereich ist der Mangel an Fachkräften besonders hoch. "Der Fachkräftemangel ist keine Momentaufnahme. Bis zum Jahr 2030 werden 20.000 Fachkräfte in der Region fehlen", erläuterte Schoch eine Grafik des baden-württembergischen Industrie -und Handelskammertages.

Umfrage mit interessanten Ergebnissen

Eine Lösung des Fachkräfteproblems wäre die Gewinnung von Fachkräften und Jugendlichen aus dem europäischen Ausland. Dazu wurden im Oktober 2013 über 200 Firmen in der Region durch die Wirtschaftsförderung Zukunftsregion Nordschwarzwald GmbH befragt. Dabei zeigte sich, dass die Unternehmen besonders im Bereich der Ingenieure, Techniker und Informatiker einer Besetzung mit ausländischen Fachkräften durchaus offen gegenüber stehen. Im kaufmännischen Bereich wird diese Möglichkeit noch nicht so stark in Betracht gezogen. Jens Mühleisen, der Geschäftsführer der IHK Nordschwarzwald mahnte angesichts des Fachkräftemangels und seiner zukünftigen Entwicklung: „Wichtig ist es jetzt zu handeln und nicht zu lange zu warten." Unternehmen sollten ihre Altersstrukturen analysieren, sich bewusst werden, wer in absehbarer Zeit aus dem Unternehmen ausscheiden wird und die Altersdurchmischung im Unternehmen im Auge behalten. Dann auch ältere Arbeitnehmer sind ein Gewinn für jedes Unternehmen, da sie ihr Wissen an die jüngeren Mitarbeiter weitergeben können.

"Zeigen Sie sich und die Attraktivität Ihrer Arbeitsplätze. Ein Image lässt sich nicht über Nacht entwickeln", forderte Mühleisen die Unternehmen auf. Andere aktuelle Umfrageergebnisse der IHK Nordschwarzwald zeigen, dass seine Aufforderung genau den Kern der Probleme der Unternehmen trifft. Denn 75 Prozent der Unternehmen bewerteten eine Hilfe beim Arbeitgebermarketing als "sehr interessant" und 25 Prozent als "interessant". Auch die Heranbildung von Menschen mit geringerer Qualifikation, sowie das nutzen neuer Möglichkeiten zur Rekrutierung nannte Mühleisen als Werkzeuge mit denen der Fachkräftemangel etwas eingedämmt werden kann. "Dies sind Dinge die Sie heute schon machen können. Diese Themen sollen fit machen für das Jahr 2030. Wir möchten dieses Thema zur Chefsache machen", so Mühleisen.

Ausländische Fachkräfte sind leichter zu integrieren als mancher denkt

Bei der Gewinnung von ausländischen Fachkräften steht die Bundesagentur für Arbeit den Unternehmen begleitend und beratend zur Seite. Dabei ist es wichtig für die Unternehmen sich den Umständen, die einen ausländischen Mitarbeiter hier erwarten, bewusst zu werden. Nicht nur die Sprache ist eine andere als die Muttersprache, auch die Kultur und die Menschen sind anders als im Heimatland. Erfolge im Bereich der Integration ausländischer Mitarbeiter in deutsche Unternehmen und die Kultur, kann das Unternehmen Juratrad Global Linduistic Services aufweisen. Lisa Nottmeyer und Arantza Blanco haben dieses Unternehmen im Jahr 2009 in Barcelona gegründet. Seit 2013 hat es seinen Hauptsitz in Heilbronn.

Juratrad unterstützt ausländische Fachkräfte auf ihrem Weg nach Deutschland und in die dortigen Unternehmen. Sie setzen sich mit Personalleitern zusammen, ermitteln die Bedarfe und Profile, treffen eine gezielte Vorauswahl an Fachkräften und Auszubildenden. Bereits im Heimatland vermitteln sie die deutsche Sprache und begleiten die Fachkräfte mit ihren Familien auch weiterhin in Deutschland. „Es ist wichtig, die verschiedenen Kulturen und Mentalitätsunterschiede zu kenne und zu verstehen und offen aufeinander zuzugehen“, betont Arantza Blanco, die vor 16 Jahren selbst ohne ein Wort Deutsch zu sprechen nach Schwetzingen kam. Und es ist auch wichtig, dass sich die deutschen Arbeitgeber und deren Mitarbeiter über die Kultur ihrer ausländischen Mitarbeiter im Vorfeld informieren. "Spanien ist mehr als Stierkampf, Siesta und Flamenco", so Lisa Nottmeyer.

Erfolgreiches Projekt "Tu objetivo: Allemania"

Mit dem Projekt "Tu objetivo: Allemania" konnten bereits 22 Personen aus Spanien ein Praktikum in Schwäbisch Hall und Freudenstadt machen, nachdem sie zweieinhalb Monate Deutsch in ihrer Heimat lernten. Dank Juratrad konnte auch Unai Lopez Sábate, der an diesem Projekt im März 2013 teilnahm, einen Arbeitsplatz als technischer Zeichner bei der Firma WÖHWA Waagenbau GmbH in Pfedelbach antreten. "Die Situation in Pamplona ist sehr kompliziert. Es gibt keine Arbeitsplätze. Gerade als Familienvater muss man Möglichkeiten suchen die Familie ernähren zu können. Das Projekt ist für mich ein wahrgewordener Traum", schildert Sábate seine Sicht auf die Situation in Spanien und den persönlichen Erfolg durch dieses Projekt. Seinen Bekannten in Spanien würde er raten: "Das Projekt ist eine sehr gute Gelegenheit, doch es ist sehr wichtig Deutsch zu lernen."

Mit dem Förderprogramm MobiPro EU gibt es gute Möglichkeiten, in Engpass- und Mangelberufen die Sprachkurse und den Aufwand für Vorstellungsgespräche zu fördern. Information gibt es bei der Arbeitsagentur.

Das Handwerk sucht händeringend Nachwuchs

Auch Hans Schmeiser, zuständig für den Themenbereich Fort- und Weiterbilung an der Bildungsakademie der Handwerkskammer Karlsruhe blickt auf schwierige Zeiten für das Handwerk, wenn er an den Nachwuchs denkt. "Wir im Handwerk spüren sehr stark die Auswirkungen der Berufswahlentscheidung, die auch von den Eltern der Jugendlichen mitbestimmt wird.", so Schmeiser Über 60 Prozent Anmeldungen von Schülern am Gymnasium untermauern seine Aussage. "Die Werkrealschule, die Realschule und die Hauptschule, die typische Zulieferer unserer Berufe sind, sind nicht mehr so gefragt", erläutert er.

Angesichts von 50 Prozent Abbrecherquote an Universitäten technischer Ausrichtung ist der direkte Einstieg ins Handwerk eine Alternative zum Studium für technisch interessierte Jugendliche. "Wir brauchen auch Leute die das konstruieren was die Ingenieure entwerfen", pflichtete Dieter Oberüber vom Sternenfelser Unternehmen Oberüber Präzision GmbH bei. Drastisch bis dramatisch wird sich die Situation in den kommenden Jahren besonders in Branchen wie beispielsweise dem Friseurhandwerk und dem Bäckerhandwerk darstellen. Dies kann auch Hermann Gerweck, von der Bäckerei Gerweck bestätigen, in dessen Bäckerei nur ein Jugendlicher seine Lehre zum Bäcker macht.

Durch Werkstattcamps, die von der Handwerkskammer in den Schulferien durchgeführt werden, sollen die Jugendlichen an handwerkliche Berufe herangeführt werden. "Der Laden war voll. Man kann nicht sagen, dass die Jugendlichen keine Lust hätten etwas zu machen", erläutert Schmeiser. Die Jugendlichen können sich an den Tätigkeiten der Handwerksberufe ausprobieren. Beispielsweise demontierten und reinigten einige Jugendliche einen Motor, andere konnten herausfinden, ob sie im Bereich der Polsterei eine Zukunft für sich sehen.

Die Handwerkskammer begleitet die Jugendlichen von der Suche nach Praktikumsplätzen über die Bewerbung bis hin zur Vermittlung in die Betriebe.

Projekt mit Friseuren in Estland

Im Bereich des Friseurhandwerks geht die Handwerkskammer dabei einen neuen Weg. Da viele Salons keinen Nachwuchs mehr finden, manche sogar schon das zweite Jahr in Folge, wurde das Projekt "Kamm ja Käärid" gestartet, was auf estnisch "Kamm und Schere" bedeutet. Dieses Projekt soll es Jugendlichen aus Estland ermöglichen eine Friseurlehre in Deutschland zu beginnen. Da das estnische Abitur in Deutschland anerkannt ist und die Schüler dort auch Deutsch in der Schule lernen sind die Zugangsvoraussetzungen geschaffen um Jugendliche aus diesem kleinen Land für eine Ausbildung in Deutschland zu begeistern. Das Projekt soll noch auf zwei bis drei weitere Berufsfelder im technischen Bereich ausgeweitet werden. "Es geht um den Bestand unserer Betriebe. Wenn wir den Nachwuchs nicht bekommen bei unserer Hochtechnologie, dann geht es steil bergab", zeichnete Schmeiser ein zu erwartendes Zukunftsszenario.

In Sternenfels beste Voraussetzungen

Auch Gabriele Hildwein bietet mit ihrem in Sternenfels ansässigen Unternehmen hiwentis Unterstützung bei der Qualifizierung ausländischer Fachkräfte, beispielsweise durch Sprachkurse an. Doch auch die Analyse des Weiterbildungsbedarfs, die Konzeption der Weiterbildung, sowie Gruppen- und Einzelcoachings und Übernahme aller Verwaltungsaufgaben in der Weiterbildung gehören zu den Angeboten von hiwentis.

Eine enge Zusammenarbeit findet auch zwischen hiwentis und dem Ausbildungszentrum Technik in Sternenfels statt. Es ist kein Zufall, dass das Ausbildungszentrum von Manuel Pérez Castillo geleitet wird. Castillo selbst kam 1965 auch aus Spanien nach Deutschland und kann aus eigener Erfahrung sprechen: "Wir Spanier haben keine Probleme die deutsche Sprache zu erlernen." Somit kann er den praktischen Teil in Muttersprache erklären und bietet beste Voraussetzungen für einen erfolgreichen Abschluss.

Wie geht es weiter?

Bereits im Frühjahr sollen auf Basis der Unternehmensanforderungen Akquisegespräche mit wechselwilligen spanischen Arbeits- und Fachkräften geführt werden. In Besuche sollen den Menschen die Region im Enzkreis als attraktiver Arbeits- und Lebensort vermittelt werden. Bereits zu diesem Zeitpunkt sollen im Enzkreis lebende spanische Familien in diesen Projekt als „Kümmerer und Unterstützer“ eingebunden werden und den Interessenten die Unternehmen vorgestellt werden. Wenn dann klar ist wer kommt, startet in Spanien der Deutschkurs, so dass einer Umsiedlung in den Sommerferien nach Deutschland und dem Start zum 1. September 2014 nichts mehr im Weg steht.

Interessierte Unternehmen und spanische Gastbeberfamilien können sich mit Arantza Blanco und Lisa Nottmeyer (www.juratrad.com und Telefon 07131 2700819) sowie Gabriele Hildwein (www.hiwentis.de Telefon 07045 9705100) in Verbindung setzen.

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